Rede am 24.10.2025
von Seden Kantarci Vorsitzende des Integrationsbeirats, Fürth
Liebe Mitmenschen, liebe Freundinnen und Freunde,
manch einer würde mich vorstellen als ein Problem im Stadtbild.
Ich bin nämlich anscheinend das, was Herrn Merz stört, wenn er durch die Straßen geht und das Gesicht, das nicht zu seinem Deutschland passt. Während mir manch einer doch entgegenrufen will „du bist doch gar nicht gemeint“, will ich zurückschreien: „Woher weißt du das?“
Punkt 1: Sprache ist Macht.
Sprache ist nicht neutral. Worte sind nicht nur Worte. Sprache formt Wirklichkeit und sie entscheidet, ob wir Türen öffnen oder Mauern bauen. Und hier nutzt jemand mit enormer politischer und medialer Reichweite Sprache, um Grenzen zu ziehen. Und ich würde mir wünschen, dass Personen in ähnlichen Positionen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene ihre eigene Reichweite nutzen, um sich entschieden dagegen auszusprechen.
In diesem Fall wird die Bedeutung „Problem“ verschoben – weg von Missständen, Strukturen – hin zum Menschen. Merz sagte nicht: Armut, Rassismus oder Krieg ist ein Problem, sondern Menschen mit bestimmtem Aussehen, mit Migrationsgeschichte, mit Akzent, mit einem Namen, der nicht deutsch genug klingt.
Und dann will mir noch irgendwer erklären, ich wäre ja nicht gemeint? Sorry, aber werden Millionen von Menschen unter Generalverdacht gestellt. Das schürt Angst – auf dem Rücken derjenigen, die ohnehin jeden Tag erklären müssen, dass sie dazugehören.
Was soll die Folge sein? Sollen wir uns Schilder an die Stirn kleben mit „geflüchtet“, „eingebürgert“, „mit und ohne Pass“, „Touri“?
Punkt 2: Weil ich nett bin, habe ich eine Auswahl an wirklichen Problemen im Stadtbild dabei.
Lasst uns reden über soziale Ungerechtigkeit jeglicher Art, über den Mangel an bezahlbarem Wohnraum oder den Verfall von öffentlichen Räumen, über verzerrte Berichterstattungen, über diskriminierende Aufkleber an Laternen und Aufmärsche rassistischer Gruppierungen vor unserer Haustür und in unserer Nachbarschaft.
Lasst uns reden über die klaffende Lücke zwischen rein symbolischer Solidarität und tatsächlicher Teilhalbe, über die fehlende Repräsentation von Migras in wichtigen Momenten und Positionen, weil Strukturen, Einladungen, Netzwerke – oder das Vertrauen in dieses System – fehlen.
Und mein Lieblingsproblem: Lasst uns über die dreiste Selbstverständlichkeit reden, mit der hier etwas geäußert wurde, das impliziert, dass ein weißeres, homogeneres Deutschland die Rettung sei.
Diese Fantasie ist nicht nur fernab jeder Realität, sie ist auch verdammt gefährlich. Das beweist uns die Vergangenheit.
Punkt 3: Es wird ja nicht nur viel über das Stadtbild gesprochen, sondern auch darüber, was die Töchter sagen.
Ich bin eine Tochter. So wie viele andere Töchter – und Söhne –, deren Eltern, die ihre Herzen in ihrer Heimat zurückgelassen haben, damit ihre Kinder hier ein gutes, sicheres Leben führen können. Wir sind Töchter, Söhne und Enkelkinder von den GastarbeiterInnen, die dieses Land mit aufgebaut haben und auch heute noch mittragen. Aber dann kam mir der Gedanke: Vielleicht werden wir ja auch nicht gefragt, weil wir sowieso nicht ins Stadtbild passen würden.
So oder so: Wir sind Töchter, die nicht zulassen werden, dass sie für Rassismus und Diskriminierung instrumentalisiert werden. Ich bin kein Opfer, dass nur durch eine Spaltung der Gesellschaft geschützt werden kann. Frauen können sehr gut für sich selbst sprechen. Man muss ihnen aber auch einfach mal zuhören, wenn sie über Femizide, sexualisierte Gewalt, Lohngleichhalt, unbezahlte Care-Arbeit, fehlende Repräsentation in Politik, Wissenschaft, Führungspositionen, fehlende medizinische Forschung usw. reden.
Zusammengefasst: Wer wirklich über Probleme sprechen will, spricht beispielsweise über diese Ungerechtigkeiten, Rassismus, Sexismus, Macht und die Wirkung, die das alles auf unser Zusammenleben hat.
Die Welle der Empörung, die durch unsere Städte zieht, macht klar: Die Stadtbild-Aussage bleibt auch dann rassistisch, wenn man Tage später versucht in „gute“ und „böse“ Migras zu unterscheiden.
Wir sind hier, weil wir uns weder Gesicht, Körper, Herkunft, Stimme oder den Platz in dieser Stadt nehmen lassen – nicht als Frauen, nicht als Menschen mit Migrationsgeschichte, nicht in Fürth und auch sonst nirgendwo. Wir sind aber auch hier, weil wir uns nicht unsere FreundInnen, Familie, ArbeitskollegInnen und NachbarInnen nehmen lassen.
Das Stadtbild, das sie fürchten, ist unsere Gegenwart und Zukunft. Wir alle stehen zusammen: vielfältig, stark, selbstbestimmt, laut. Wir bleiben Fürth, wir bleiben stabil. Das ist unser Stadtbild, das sind unsere Straßen und hier ist kein Platz für rechte Hetze.
