Rede zum 9.11.2021

Wir vergessen nicht, denn die Pogrome scheinen nur in der Vergangenheit zu liegen, sie sind verbunden mit der grausamsten Erinnerung und der schwersten Warnung, welch unmenschliche Schrecken möglich sind. Darum ist es für uns die wichtigste Aufgabe, dieses Wissen um die Schrecken des Nationalsozialismus weiter zugeben und die Wachsamkeit gegen Rassismus und Rechtspopulismus niemals zuverlieren.

In der Stadtchronik von Fürth für den 10. November 1938 ist zu lesen:

 „Vergangene Nacht sind fast sämtliche hiesige Juden durch SA-Leute aus ihren Betten geholt und am Schlageterplatz aufgestellt worden. Um halb zwei auch die 42 jüdischen Kinder vom jüdischen Waisenhaus in der Julienstraße. Gegen 6 Uhr Früh kamen sie in den Saal des Volksbildungsheimes. Um 9 Uhr früh dürfen die Frauen, Mädchen und Kinder nach Hause gehen. Etwa 132 Männer wurden dann abends in den Autobussen fortgeschafft.“ Eine Nacht des Schreckens, der Angst, beißender Kälte und Schlaflosigkeit lag hinter diesen Menschen und doch war dies nur der für allesichtbare Auftakt zu einer Verfolgung und Ermordung aus rassischen, politischen, religiösen, sozialen, biologischen und ökonomischen Gründen undbald wurde dann durch einen verbrecherischen Krieg die Welt an den Rand des Abgrundes geführt. Bereits am 1. Dezember 1938 heißt es dann in der Fürther Stadtchronik: „Viele, fast alle Judenhäuser gehen in christlichen Besitz über…“. Zu den besonderen Nutznießern zählte unter anderem der Quelle Versandhausbesitzer Gustav Schickedanz: 75 % seines Gesamtbesitzes stammte einer Klageschrift von 1949 zufolge aus ursprünglich jüdischem Besitz.

In der Büchner-Preisrede von Lukas Bärfuss 2019 heißt es: Falls man den Menschen die Möglichkeit geben will, aus der Geschichte zu lernen, wäre die erste Voraussetzung, dass er sich dieser Geschichte erinnert. Aber leider vergisst er so leicht, und oft vergisst er gerade die entscheidenden Lektionen.

Wie sonst könnte mit der AfD eine Partei in den Parlamenten und auch hier in Fürth im Stadtrat sitzen, die Menschen verachtet, die Ängste schürt und die Demokratie mit Füßen tritt? Auch bei den sogenannten „Querdenkern“, die die Corona-Pandemie leugnen und als Mittel für antisemitische Narrative von einer Weltverschwörung nutzen, wurde aus der Geschichte offensichtlich nicht gelernt. Auch der dritte Weg versucht mit Flyerverteilungen hier anzuknüpfen. Antisemitische Schmierereien, SS-Runen gegen Obdachlose… Auch in Fürth bestehtweiterhin die Notwendigkeit eines aktiven Antifaschismus. Gerade hat sich die Selbstaufdeckung des NSU zum zehnten Mal gejährt. Noch immer laufen Helfer und UnterstützerInnen hier in Deutschland frei herum. Noch immer wird der Verfassungsschutz nicht zur Aufdeckung seiner Quellen und Unterlagen verpflichtet. Noch immer fühlen sich Menschen mit migrantischem Hintergrund in Deutschland unsicher. Wir werden deshalb nie aufhören, für Offenheit und Toleranz einzutreten. Das Fürther Bündnis gegen Rechtsextremismus und Rassismus wird es sich weiterhin zur Aufgabe machen, jegliche Art von Rassismus, Rechtspopulismus und Antisemitismus zu bekämpfen.

In der Zeit des Nationalsozialismus waren die Grenzen der Welt für viele JüdInnen und andere Verfolgte verschlossen – für viele war dies ein Todesurteil. Heute ist Abschottung gegen Menschen, die vor Kriegen, Not und Elend fliehen, hier in Deutschland wie in ganz Europa, traurige Realität. Durch immer neue restriktive Gesetze, durch gefängnisähnliche Lager, durch immer mehr Zäune, Mauern und militärische Abwehr werden Menschen vom Überschreiten der Grenzen abgehalten. Uns ist es ein Anliegen, dass die humanitäre Katastrophe an den europäischen Außengrenzen im Blickpunkt der Öffentlichkeitbleibt. Wir haben genug Platz, um diese unhaltbaren Zustände endlich zu beenden.  

Wie Esther Bejerano, die große antifaschistische Kämpferin, Überlebende von Auschwitz, sagt: Sonntagsreden, die Betroffenheit zeigen, reichen nicht. Diese Betroffenheit muss zum Handeln führen, es muss gefragt werden, wie es soweit hat kommen können. Es muss gestritten werden für eine andere, bessere Gesellschaft ohne Diskriminierung, Verfolgung, Antisemitismus, Antiziganismus und ohne Fremdenhass! Nicht nur an Gedenktagen! Dieser klare Auftrag der leider in diesem Jahr verstorbenen großartigen Frau ist unsere Verpflichtung. Daran wollen und müssen wir uns messen lassen.

Wir vergessen nicht und wir erinnern uns auch an diesem 9. November an die Verbrechen des Faschismus als Auftrag für die Zukunft.